Gespräch mit der Pressestelle der EKD anlässlich des Weltfahrradtages am 3. Juni 2020

EKD: Rad­fahren boomt. Wie schätzen Sie die Ent­wick­lung des Fahr­rad­tou­rismus ein?

Georg Hof­meister: Auch der Rad­tou­rismus erfreut sich mit zwei­stel­ligen Zuwachs­raten zuneh­mender Beliebt­heit. Vor allem Deutsch­land ent­wi­ckelt sich immer mehr zum Rad­rei­se­land. Ein über das ganze Land ver­zweigtes Rad­we­ge­netz von ca. 45.000 Kilo­me­tern lädt zum Erkunden und aktiv werden ein. Ent­lang dieser Rad­wege liegen auch viele Kir­chen, die – mit ihren oft­mals weithin sicht­baren Kirch­turm­spitzen– zur Rast ein­laden. Dieses Poten­tial wird auch zuneh­mend von Tou­ris­mus­ver­bänden entdeckt.

EKD: Können Sie ein Bei­spiel für die Zusam­men­ar­beit von Tou­rismus und Kirche nennen?

Georg Hof­meister: Ja, es gibt einige extra aus­ge­schil­derte Kir­chen-Rad­wege, die zusammen mit dem Tou­rismus ent­wi­ckelt wurden. Ein her­vor­ra­gendes Bei­spiel ist das Pro­jekt „Kir­chen am Eder-Radweg“ der EKKW, das auch von der VRK-Aka­demie geför­dert wurde. Ent­lang des Eder-Rad­wegs laden 14 Kir­chen zum Ver­weilen ein. Alle Kir­chen sind mit einem mul­ti­me­dialen Infor­ma­ti­ons­system aus­ge­stattet und die Besucher*innen können mit einem Fin­ger­tippen in die Geschichte der Kirche und des Ortes ein­tau­chen, Andachten und Musik­stü­cken lau­schen oder Tipps für die Wei­ter­fahrt erhalten.

EKD: Seit wann gibt es Radwegekirchen?

Georg Hof­meister: Meines Wis­sens war die erste Rad­we­ge­kirche die Johan­nes­kirche Rein­hards­brunn in der Nähe des Rad­wegs „Thü­ringer Städ­te­kette“. Diese wurde 2001 ein­ge­weiht. Dort im „Zen­trum Spi­ri­tu­eller Tou­rismus“ wurde früh­zeitig erkannt, dass viele Men­schen im Urlaub und in der Frei­zeit Orte des Inne­hal­tens suchen und offen sind für neue Begeg­nungen – auch mit Gott.

EKD: Was heißt das für die kirch­liche Bedeu­tung von Radwegekirchen?

Georg Hof­meister: Rad­we­ge­kir­chen sind nicht auf ver­bind­liche Ver­ge­mein­schaf­tung aus­ge­richtet, son­dern sie begleiten als „Kirche bei Gele­gen­heit“ Men­schen auf ihren Wegen. Sie sind damit ein nie­der­schwel­liges kirch­li­ches Angebot, das auch viele anspricht, die mit den „nor­malen“ kirch­li­chen Ange­boten wenig bis nichts mehr anfangen können. Vor­bei­fah­rende nehmen dankbar die Rad­we­ge­kir­chen als einen Ort der Ruhe und Spi­ri­tua­lität, des Kraft-Schöp­fens und Aus­ru­hens in Anspruch. Unab­hängig von gere­gelten Got­tes­dienst­zeiten, ist es der Kir­chen­raum und seine beson­dere Atmo­sphäre selbst, der Men­schen anspricht und ver­wan­deln kann. Rad­we­ge­kir­chen haben damit einen geist­li­chen Mehrwert.

Zugleich sym­bo­li­sieren ihre offenen Kir­chen­türen eine öffent­liche Kirche, die in die Zivil­ge­sell­schaft hin­ein­wirken und mitten im Leben der Men­schen prä­sent sein will. Ein solch offenes „Got­tes­haus“ spie­gelt die christ­liche Bot­schaft an die Öffent­lich­keit wieder, dass Gott alle Men­schen, ohne Bedin­gungen und Vor­leis­tungen, zu sich ein­lädt und sie stärken will. Gleich­zeitig trans­por­tieren sie auch die klare Bot­schaft an die Öffent­lich­keit: „Wir sind Kirche für andere“. Über die Rad­we­ge­kir­chen kommt es zu neuen Ver­net­zungen mit Akteuren aus Politik, Tou­rismus, Stadt- und Regio­nal­ent­wick­lung sowie mit Fahrrad-Ver­bänden. Jede Rad­we­ge­kirche ist damit ein aktiver Bei­trag zur För­de­rung eines sanften, öko­lo­gi­schen Tou­rismus und ein Bau­stein, an dem sich der kirch­liche Auf­trag zur „Bewah­rung der Schöp­fung“ konkretisiert.

EKD: Was muss eine Kirche bieten, damit sie von ihrer Lan­des­kirche das grüne Signet mit dem sti­li­sierten Rad­fahrer erhält, das sie als Rad­we­ge­kirche ausweist?

Georg Hof­meister: Das Signet wird seit 2009 von der EKD ver­liehen und zeigt dem Rad­fahrer an, dass es sich bei dieser Kirche um eine ver­läss­lich geöff­nete Kirche han­delt, die zur geist­li­chen Besin­nung und zur Rast ein­lädt. Eine gast­freund­liche Gestal­tung, die Aus­lagen von geist­li­chen Text­im­pulsen, aber auch Infor­ma­tionen zur Orts­ge­meinde und Sehens­wür­dig­keiten der Region sind einige Kenn­zei­chen einer Rad­we­ge­kirche. Nähere Infor­ma­tionen findet man bei den Leit­li­nien auf der Home­page www.radwegekirchen.de.

EKD: Warum enga­giert sich die VRK-Aka­demie in dem The­men­feld und was bieten Sie an?

Georg Hof­meister: Mit der Unter­stüt­zung kirch­li­cher Arbeits­felder durch die Aka­demie nimmt der VRK seine gesell­schaft­liche Unter­neh­mens­ver­ant­wor­tung wahr. Das The­men­feld der Offenen Kir­chen und der Frei­zeit- und Tou­ris­mus­seel­sorge ist dabei ein beson­derer Schwer­punkt. Beim Thema Rad­we­ge­kir­chen helfen wir der EKD das Netz der Kir­chen aus­zu­bauen und das kirch­liche Angebot stärker in der Öffent­lich­keit zu plat­zieren. Wir tun dies durch gemein­same Tagungen und Ver­net­zungs­treffen für die Ver­ant­wort­li­chen von Rad­we­ge­kir­chen. Ganz kon­kret bekommt auch jede neue Rad­we­ge­kirche in Deutsch­land von uns ein „Star­ter­paket“ über­sendet. Dieses ent­hält ein Anlie­gen­buch, mit dem die Besu­cher die Mög­lich­keit haben, ihre Gedanken und Bitten fest­zu­halten. Mit dabei sind auch kos­ten­lose Ver­teil­ma­te­ria­lien, wie „Rast für die Seele“ „Gebete und Lieder für unter­wegs“ oder der mehr­spra­chige „Rei­se­segen“. Der Gast einer Rad­we­ge­kirche soll spüren: „Hier werde ich erwartet. Hier bin ich willkommen!“

 

Zur Person:

Dr. Georg Hof­meister, seit 2012 Leiter der Aka­demie des Ver­si­che­rers im Raum der Kir­chen. Davor Tätig­keiten als Gemein­de­pfarrer in Melsungen und als Stu­di­en­leiter in der Ev. Aka­demie Hofgeismar.